Ursachen für psychische Traumata

Während früher das Trauma in den Eigenschaften des auslösende Ereignisses gesehen wurde, wird heute immer mehr akzeptiert, dass ein bestimmtes Ereignis für den einen Menschen traumatisierend wirkt, für einen anderen jedoch nicht. Welcher Mensch bei diesem Ereignis eine Folgetraumatisierung davonträgt, hat wenig mit der psychischen Stärke oder Schwäche dieser Menschen zu tun, auch nicht mit der psychischen Gesundheit vor dem Ereignis. Es kommt vielmehr auf die speziellen Umstände an: in welcher Stimmung war der Betroffene zu Beginn des Ereignisses? Wie sind die Begleitumstände? Wie plötzlich, intensiv und unvorhersehbar war das Ereignis? Hat der Betroffene sich während des Ereignisses ohnmächtig und hilflos gefühlt oder hat er etwas tun können zur Bewältigung der Situation? Und: wieviel Unterstützung hat er nach dem Ereignis als Hilfe zur Verarbeitung gehabt, besonders durch Freunde und Verwandte? Traf das Ereignis vielleicht auf ähnliche Vorerfahrungen, die mit angesprochen wurden?
Daher können selbst anscheinend harmlose Ereignisse tiefe Spuren hinterlassen; anders herum kann auch ein sehr dramatisches und bedrohliches Geschehen unter Umständen folgenlos bleiben.

Bild: Wenn Ralf Schumacher sich mit 200 überschlägt wird er das anders erleben und verarbeiten als Franz Beliebig.

In den meisten Fällen werden aber existenzbedrohende, lebensbedrohliche und überraschende Situationen eine Traumatisierung hinterlassen.

Traumatisierung im Kindesalter

Kinder sind besonders verletztlich, da sie in ihrer inneren Reifung noch nicht so viel Stabilität und so viele Bewältigungsmöglicheiten ausbilden konnten wie das bei Erwachsenen gewöhnlich der Fall ist. Auch ihre äusseren Möglichkeiten sind wesentlich begrenzter, angefangen mit der körperlichen Kraft bis hin zur Bewegungsfreiheit in der Welt. Auch werden Kinder häufig in ihrer Bedürftigkeit nach sicherer Beziehung und als kleine Personen nicht hinreichend erkannt, so dass Bindungsstörungen und viele andere Fehlentwicklungen entstehen. Bis vor kurzem glaubte man fälschlicherweise, dass Kleinstkinder zum Beispiel kein Schmerzempfinden besitzen, so dass sie ohne Narkose operiert wurden, oder kein Gedächtnis bilden, so dass man mit ihnen machen kann, was man will, solange sie nicht verhungern.
Artikel über kindliche Traumatisierungen

Gewalt durch Menschen

Diese Kategorie ist die häufigste Ursache für Traumatisierungen. Die Behandlung wird hier erschwert, weil das Vertrauen in Menschen allgemein in Mitleidenschaft gezogen sein kann. Der in der Therapie besonders wichtige Rahmen des Vertrauens, der die Durcharbeitung der Gefühle oft erst möglich macht, muss zuerst erarbeitet werden. Männer sind häufiger Täter, Frauen sind häufiger Opfer, so dass die Beziehung TherapeutIn-KlientIn häufig Macht- und Gewaltthemen mobilisiert. Auch einmalige Übergriffe können lebenslang anhaltende Schwierigkeiten nach sich ziehen, sich in Beziehungen vertrauensvoll zu öffnen.

Sehr häufig sind bereits Kinder mit grenzüberschreitendem Verhalten von Eltern konfrontiert. Dies kann auch sexuell motiviert sein, meist geht es darum, den Willen von Kindern zu brechen, sie an die Bedürfnisse der Eltern anzupassen, sie nach den Bedürfnissen der Eltern zu benutzen. Eltern die selbst nicht erlebt haben, Raum und Unterstützung für ihre eigene Identitätsentwicklung zu bekommen, können dies auch nicht an ihre Kinder weitergeben. Alkoholismus und psychische Erkrankungen der Eltern können eine Rolle spielen. So kann sich schon von Beginn an die normalerweise von Vertrauen und Sicherheit geprägte innere Beziehungswelt nicht ausbilden. Aber auch Vernachlässigung und Alleinlassen insbesondere von sehr kleinen Kindern traumatisiert. Fehlende und nicht angemessene, auf die Bedürfnisse des Kleinkinds antwortende Fürsorge ist für Babys ein unerträglicher Stress. So sind ganze Generationen geschädigt worden durch das sogenannte "Schreienlassen, das die Lungen kräftigt".

In der Jugend sind es grade die Mädchen, die während ihrer sexuellen Reifung in Situationen kommen, in denen sexuelle Übergriffe vorgenommen werden. Oft fehlt das Selbstbewusstsein und die klare Wahrnehmung, die helfen, gefährliche Situationen von vornherein zu vermeiden oder sich klar abzugrenzen. Angesichts der oft körperlichen Unterlegenheit, und auch wenn ein Übergriff überraschend und plötzlich geschieht, ist eine Vermeidung oder eine Gegenwehr jedoch nicht immer möglich. Der Schutz der Heranwachsenden wird in unserer Gesellschaft oft nicht entsprechend verfolgt, die Jugendlichen selbst entziehen sich dem auch häufig selbst, wenn die Beziehungen zu den Eltern bereits belastet ist. Im Frühjahr 2010 wird der Missbrauch von SchülerInnen an Klosterschulen und Internaten breites Thema in den Medien, verbunden mit der Diskussion um Verlängerung oder Abschaffung der Verjährungsfristen für Täter. 
(Danke für den Hinweis auf einen inzwischen ungültigen Link an dieser Stelle)
Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt

Bei Erwachsenen sind es häufig Gewaltverbrechen, die eine Traumatisierung nach sich ziehen. Dazu gehören Raubüberfälle, Vergewaltigungen, aber auch Einbrüche, da die heimische Sphäre verletzt wird, auch wenn die Wohnungsinhaber nicht vor Ort sind. Im familiären Bereich ist Gewalt durch den Ehepartner oft eine Fortsetzung der Gewalt des Elternhauses. Zu den sogenannten Beziehungstaten kommt es häufig bei der Androhung oder Durchführung von Trennung.
Sehr häufig spielt Alkohol eine wichtige Rolle, auf Seiten des Täters durch Enthemmung, auf Seiten des Opfers durch Betäubung der inneren Warnsignale und Beeinträchtigung der Wehrhaftigkeit. Auch andere Drogen können Übergriffe und Gewaltakte begünstigen, so bei Wahnvorstellungen durch Designer-Drogen, oder dem Missbrauch unter Verwendung von K.O.-Tropfen. Diese haben die oft schwerwiegende Folge, dass das Opfer nicht weiß, was mit ihm geschehen ist, was für die Verarbeitung ein Erschwernis darstellt.
Weisser Ring

Ebenfalls häufig Folge einer Trennung kann es zum sogenannten Stalking kommen, dem Verfolgen meist der verlassenen Frau durch Telefonanrufe, Auflauern, Briefe schreiben. Die Kontakte zeigen, dass das Opfer verfolgt und kontrolliert wird, und dass es der Kontrolle des Verfolgers hilflos ausgeliefert ist. Androhungen von Gewalt werden häufig nicht umgesetzt, sind aber ernst zu nehmen. Stalking-Opfer fühlen sich wehrlos und ausgeliefert, sowie von der Gesellschaft alleingelassen, weil es noch keinen wirksamen Schutz gegen Stalking gibt, solange der Stalker nicht wirklich gewalttätig wird. In den meisten Fällen kommt es bei den Opfern zu behandlungsbedürftigen Depressionen und Angststörungen. Ein Gesetzesentwurf gegen Stalking ist im September 2005 vom Bundesrat abgelehnt worden, obwohl alle Parteien sich einig sind, dass Abhilfe geschaffen werden muss, so dass die Betroffenen weiterhin praktisch ohne Schutz bleiben.
http://www.stalkingforum.de/

Im Bereich der Arbeit kann es insbesondere zu sexuellen Übergriffen an Untergebenen kommen. Machtverhalten und jähzorniges Alleinherscher-Verhalten sind noch immer häufig. Dies findet sich häufig in Kleinbetrieben, in denen der Chef selbst die Aufbaurarbeit geleistet hat. Hier finden sich typisch patriarchalische Herrschaftsstrukturen. Auch in Konzernen werden die Vorgesetzten in der Regel geschützt, trotz der Schäden für die Mitarbeiter und das Unternehmen. Immer häufiger werden Spannungen in der Mitarbeiterschaft auch durch Mobbing abgebaut. Obwohl es in größeren Betrieben mittlerweile Mobbing-Beauftragte gibt, ist der Schutz in der Realität oft ungenügend oder überhaupt nicht gegeben. Meist wird das Mobbing-Opfer entweder langfristig körperlich und seelisch krank oder entgeht der Situation durch Kündigung.
mobbing-web.de

Auch institutionalisierte Gewalt und politisch motivierte Gewalt ist weit verbreitet. Aktuell wird immer wieder von Hartz IV-Empfängern berichtet, wie sie von ihren "Beratern" unter Druck gesetzt und bis in intime private Details hinein ausgefragt werden, z.B. über ihre Liebesbeziehungen oder ihre Krankheiten, mehr oder weniger deutlich mit dem Vorwurf verbunden, sie wollen sich nur drücken und bemühten sich nicht um eine Arbeit. Polizeiliche Befragungen, die abgestellt sind auf die Dickfelligkeit von Wiederholungstäter, können für unbescholtene Menschen, die mit polizeilicher Ermittlungsarbeit außer im Krimi noch nicht in Berührung gekommen sind, durchaus die Grenze zur Gewalt überschreiten. Und wer glaubte, dass in der westlichen Kultur ein gewisser Standard in Bezug auf Menschenrechte und Menschenwürde erreicht worden sei, wird spätestens durch die illegale Gefangenschaft in Guantanamo-Bay eines Besseren belehrt worden sein. Auch die durchaus ernsthafte Diskussion in den USA, ob Folter nicht zur Erpressung von Informationen legitim sei zeigt, dass unsere Kultur noch lange nicht da ist, wo man sie gerne sehen möchte. Tatsächlich sind Informationen, die durch Gewalt oder Androhung von Gewalt erzwungen werden in der Regel wertlos, oder sie können auch auf anderem Wege erlangt werden. So geben auch Täterkreise immer wieder zu, dass es nicht um Informationen gehe, sondern um Einschüchterung, darum, Menschen zu brechen und gefügig zu machen, und damit politische Gegner oder feindliche Kräfte zu schwächen.
Heise.de - Jagdszenen in der Agentur
www.tacheles-sozialhilfe.de
Amnesty International

Katastrophen

In den Medien besonders vertreten sind Großereignisse, die in ihrer Tragik viele Menschen gleichzeitig betreffen können. Neben natürlichen Ereignissen können  insbesondere solche Katastrophen nachhaltige Beeinträchtigungen, bei denen durch menschliches Verschulden die Katastrophe ausgelöst wurde. Insbesondere, wenn niemand in Verantwortung genommen werden kann, bleibt das Gefühl des Rechtsbruchs und der Wunsch nach Sühne oft wie eine offene Wunde. 
Artikel zur Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg 2010

Unfälle

Nach Haushaltsunfällen ist die häufigste Ursache für Unfälle heute der Straßenverkehr. Dank wesentlich verbesserter passiver Sicherheitstechniken ist die Zahl der Todesfälle in den letzten 20 Jahren zwar deutlich zurückgegangen. Dabei wird häufig übersehen, dass manchmal selbst kleine Auffahrunfälle bei geringen Geschwindigkeiten körperlich und seelische Folgen haben, die mit den physikalisch wirksamen Kräften nicht hinreichend erklärt werden können, und die mit der Schock-Situation verbunden sind. Aber auch die körperliche Seite wurde lange unterschätzt. Heute ist bekannt, dass es auch bei sogenannten Bagatellunfällen zu Schäden in weichen Geweben kommen kann, die sich bis zur chronischen Schmerzstörung oder zur Arbeitsunfähigkeit ausweiten können. Das Schädel-Hirn-Trauma bzw. das Schleudertrauma kann dabei anhand von Röntgenbilder, mit denen sich heute meist noch immer begnügt wird, überhaupt nicht adäquat eingeschätzt werden. Auch die psychologischen Schockfolgen werden nur selten erkannt oder behandelt.
Auch Arbeitsunfälle sind nach wie vor sehr häufig. In vielen Fällen glimpflich verlaufend, können sie durch die direkte Einwirkung auf den Körper auch ohne körperliche Folgeschäden eine Traumatisierung auslösen, die eine weiter Ausübung an dem bisherigen Arbeitsplatz erschweren oder unmöglich machen kann.
Auch die vielen kleineren Unfälle bei Kindern und Kleinkindern kommen heute in den Verdacht, gelegentlich Schäden im weichen Hirngewebe zu hinterlassen, die zu neurologischen Entwicklungsstörungen führen können. Die Forschungen stehen hier noch am Anfang.
mehr zum Thema Schleudertrauma

Angriffe durch Tiere

In dieser Kategorie denken wir vielleicht zunächst an Raubtiere. Da wir biologisch gesehen Beutetiere sind, sitzt die biologische Angst vor Raubtieren sehr tief, wie man z.B. an den hochemotionalen Diskussionen um die (Wieder-) Besiedlung Europas mit Wölfen erleben kann, und den Reaktionen, wenn z.B. Bären aus dem Zoo ausbrechen. Die reale Begegnung mit und Bedrohung durch solche Tiere ist dagegen sehr selten. Wohl gibt es auch in Deutschland Menschen, die einen Hai-Angriff überlebt haben, teilweise unter dem Verlust von Gliedmaßen. Bei weitem am häufigsten ist aber der Angriff durch Haustiere, also vor allem Hunde. Gerade Kinder sind gefährdet, da sie das Verhalten von Hunden meist nicht einschätzen können, selbst Kampfhunde teilweise auch schlecht abgerichtet sind und Kinder Hunden wenig Kraft und Masse entgegensetzen können. Vor einigen Jahren war dieses Thema regelmäßig in der Presse, mit der Folge einer verschärften Gesetzgebung, die aber nicht mehr strikt eingehalten wird, so dass Angriffe von Hunden auf Kinder wieder häufiger werden. Diese enden oft mit tiefen Fleischwunden und großflächigen verunstaltenden Narben, häufig im Gesicht oder im Halsbereich. Aber selbst ohne Biss bleibt meist eine lebenslange Angst.

Naturgewalten

Im mitteleuropäischen Klima waren wir bisher begünstigt und haben relativ wenig die Urmächte der Natur erleben müssen. Jedoch mit dem Klimawandel und anderen vom Menschen verursachten Veränderungen ändert sich dies. Die Anzahl der Wirbelstürme nimmt ebenso zu wie ihre Stärke. Viele Menschen haben erlebt, wie Überschwemmungen ihnen die Existenz nahmen. Sturmfluten und Lawinen stellen regionale Gefahren dar, die ebenfalls an Häufigkeit und Schwere zunehmen. Selbst Hagelschlag kann zu einer tödlichen Gefahr werden, und Schneelasten zu einer Bedrohung der häuslichen Sicherheit.

- Stürme: Sie treten plötzlich auf und lösen Kräfte aus, die bei weitem übersteigen, was man aus dem gewöhnlichen Alltag kennt. Sehr schnell werden Energien mobilisiert, in denen der Mensch seine Schwäche und Ohnmacht erlebt, und sein Ausgeliefertsein gegenüber dieser "höheren Gewalt", wie es versicherungstechnisch heißt.

- Wasser: viele Menschen erleben schon als kleine Kinder bedrohliche Situationen, in denen sie während des Badens für Momente allein gelassen unter Wasser geraten, was zu akuter Todesangst führt und so eine lebenslange Angst vor dem Wasser begründen kann. Jedes Jahr ertrinken an die 500 Menschen. Entsprechend mehr kommen in einen gefährliche Situation, wo sie durch andere gerettet werden oder sich nur mit Mühe selbst retten können. Die Erfahrung von Ohnmacht und Todesnähe hinterlässt oft eine tief sitzende Angst vor dem Wasser, und sogar vor Situationen, die dem Schwimmen im Wasser ähnlich sind, also solche, wo man im Volksmund sagt, "da verliere ich den Boden unter den Füßen" oder "ich gerate ins Schwimmen", also Situationen wo Halt und Orientierung verloren gehen. Die Zahl der Nichtschwimmer und der unsicheren Schwimmer hat in Deutschland in den letzten 15 Jahren deutlich zugenommen, Tendenz weiter steigend. Ein frühes Schwimmtraining entspricht der Natur des Menschen: neugeborene Kinder können schwimmen. Wird diese Fähigkeit jedoch nicht sofort in einer Babyschwimmgruppe gefördert, verschwindet sie wieder.

- Blitze: der Klimawandel bringt stärkere und häufigere Extremwetterlagen mit sich. Im Juni 2007 zog im Sauerland in kurzer Zeit eine starke Gewitterfront auf. Ein starker Blitz schlug während eines deutsch-holländischen Freundschaftspiels mit extrem lautem Knall in einen Flutlichtmast eines Fußballstadions ein. Von dort sprang der Blitz über auf die umliegenden Zuschauer: einigen fuhr er in den Hals, anderen in ein Bein. Noch 20 Meter entfernt vielen die Betroffenen einfach um. Es schlugen in schneller Folge weitere Blitze ein, während die Zuschauer panikartig Schutz suchten. Mindestens 24 Menschen wurden mehr oder schwer verletzt. Nachdem sie wieder wach wurden, gingen viele Verletzte ohne medizinische Behandlung nach Hause, weil sie dachten, dass sie sich dort erholen könnten: typisch für Fluchtverhalten im Schock, in dem man schnell einen sicheren Ort aufsuchen will. Die Folgeschäden sind ungewiss:
Von einem Blitzschlag direkt oder peripher getroffen zu werden, ist häufig nicht tödlich. Jedoch können Stunden bis Tage später Herzrhythmusstörungen auftreten. Das Herz kann einen Gewebeschaden nehmen, der einem Herzinfarkt ähnelt. Es kann zu Hirnödemen kommen, Atemproblemen, Zuckungen, Übelkeit. Die Energie kann noch tagelang im Nervensystem wirksam bleiben, Zellmembranen werden beschädigt und durchlässig. Oft bleiben lebenslange neurologische Schäden unterschiedlicher Schwere zurück. Als Folgen des Schocks umfassen häufig globale hohe Trauma-Aktivierung, mit Rastlosigkeit, Ängsten, Unruhezuständen, Gefühl der Unsicherheit im Leben und weiteres mehr.

- Erdbeben sind in Mitteleuropa ein seltenes Ereignis. Einige der großen Katastrophen der Menschheitsgeschichte gehen jedoch auf seismische Aktivitäten wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Seebeben zurück. Wenn wir im Alltag davon sprechen, die Füße auf dem Boden der Tatsachen zu haben, oder in der Therapie von "Erdung" die Rede ist, dann geht es um eine sehr statische und verlässliche Größe in unserem Leben, ein Synonym für Sicherheit, Halt und Stabilität. Zu erleben wie ausgerechnet die Erde in unkontrollierbar heftige Bewegung gerät und der Mensch Opfer davon wird, häufig auch durch Verschüttung, bringt großen Schrecken und tiefe Verunsicherung mit sich.

Krankheiten

In diesem Falle kommt die Bedrohung "von innen" und stellt die gesamte Lebensperspektive und die Lebensweise eines Menschen zutiefst in Frage. Oft geschieht dies plötzlich und fast ohne Vorbereitung, wie es beim Schlaganfall oder beim Herzinfarkt möglich ist. So kann bereits die Diagnose einer Krankheit wie Krebs einen Schock auslösen. Nicht immer haben die Ärzte das Geschick oder die Einfühlung, eine solch schwere Mitteilung durch ihre menschliche Teilnahme zu begleiten, was viel dazu beitragen kann, den Schock aufzufangen und die notwendige Behandlung psychologisch zu unterstützen. Im Gegenteil machen viele PatientInnen zusätzlich zu ihrer Erkrankung die Erfahrung einer fabrikmäßigen und gleichgültigen Abfertigung, in der stundenlange Wartezeiten in kahlen Warteräumen für Behandlungen ebenso vorkommen, wie uneinfühlsames und unter Zeitdruck stehendes medizinisches Personal. Viele Krebspatienten berichten sich alleingelassen zu fühlen, die Behandlungen nicht genügend erklärt zu bekommen und sich dem Klinikbetrieb ausgeliefert zu fühlen. Kraft und Selbstbewusstsein eine angemessene Behandlungsweise zu erkämpfen fehlen schon aus der Krankheitssituation heraus. So kommen unterschiedliche Traumatisierungen zusammen und erschweren die Behandlung und den Umgang mit der Erkrankung.

Verlust

Auch der Verlust kann verschiedene Gesichter haben. Im Falle, dass der Kern der eigenen Existenz betroffen ist, kommt zur Trauer oft der Schock und das Trauma hinzu. So kann der Verlust des Lebenspartners jemandem die eigene Existenzgrundlage wegnehmen; der Verlust eines Kindes das Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens hervorrufen. Aber auch Heimat kann verloren gehen. So sind viele in Deutschland heute lebende Menschen auch Heimatvertriebene, und selbst in zweiter Generation lassen sich die Auswirkungen oft deutlich beobachten. Verwurzelung gibt dem Menschen Kraft und Stabilität; von vertrautem umgeben zu sein in Sprache, Kultur, Natur bedeutet Verbundenheit. Wenn der Verlust der Heimat unfreiwillig war, wird er schwerer wiegen, als wenn jemand sich aus freien Stücken zur Umsiedlung entscheidet, dann kann der Verlust akzeptiert und durch Gewinn von Neuem aufgewogen werden. Verlust von Heimat kann auch Befreiung bedeuten da, wo die Heimat Kriegsland war oder Ort der Verfolgung; dann kann mit dem Ort oft auch ein Teil der Traumatisierung hinter sich gelassen werden.

Medizinische Traumata

Ein junger Mann vermeidet alle Arztbesuche, auch für Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Wenn er eine Nadel sieht, verfällt er in Panik, wird zappelig und kann nicht im Raum bleiben. Als er zuletzt eine Spritze bekam, hyperventilierte er und sein kollabierte Kreislauf. Auch wenn er krank ist verweigert er einen Arztbesuch. Über seine Vorgeschichte wird von der Mutter berichtet, dass der Hausarzt während seiner Kindheit früher ein "richtiger Landarzt" war: der habe dann gesagt, ich halte ihn oben fest und sie unten, und dann nimmt ihm die Sprechstundehilfe das Blut ab. Noch weiter zurückgefragt war er schon als Neugeborener und Kleinkind wiederholt in der Kinderklinik.
Eine junge Frau geht seit Jahren nicht mehr zum Zahnarzt. Sie hat in ihrer Jugend einen kieferorthopädischen Eingriff erlebt, bei dem die Betäubung nicht richtig funktionierte. Sie hat das während der Behandlung auch gesagt, aber die Antwort war "das kann nicht sein".
Eine Frau in den Vierzigern rennt im Krankenhaus, so gut sie mit ihrem bandagierten Fuß kann, aufgeregt mit ihren Krücken hin und her. Sie hat massive Angstzustände, kann nicht schlafen, berichtet von Unruhe und Depressionen, alles viel schlimmer, seit sie im Krankenhaus ist. Auf Nachfrage berichtet sie von einer Operation im Rahmen einer Krebserkrankung. Von der Operation hat sie bewusst nichts mitgekommen, aber sie hatte nach der OP Verbrennungsspuren an der Hüfte, wie sich laut ihrer Aussage herausstellte, war der Tisch nicht ordnungsgemäß geerdet und es entstanden elektrische Kriechströme an ihrer Haut. Seither hat sie diese Ängste, verbunden mit inneren Wutfantasien.
Dies sind drei der harmloseren Fälle, wo eine medizinische Behandlung zu einer psychischen Traumatisierung geführt hat. Grade Kinder werden oft so behandelt, als würden sie nichts spüren oder es schnell vergessen haben, aber auch Erwachsene können durch die Hilflosigkeit, die sie durch die Behandlung erlebt haben, tiefgreifend traumatisiert werden. Vermeidung bis hin zur Verweigerung weiterer ärztlicher Behandlung ist eine ganz typische Folge, wenn dann eine Behandlung doch erfolgt, kann es zu massiven Symptomen von Angst, Wut oder Ohnmacht kommen, es kann aber auch im Leben allgemein zu schweren Folgesymptomen kommen. Bei schweren Erkrankungen kommen noch die Reaktionen auf diese hinzu. Neben Arztpraxen, weißen Kitteln und grünen Laken sind häufig, wie auch bei Unfällen, die zurückbleibenden Narben ein wichtiger Trigger für das traumatische Material.
Medizinische Traumata sind therapeutisch meist gut zu beeinflussen. Zur weitestmöglichen Vermeidung solcher Traumatisierungen gehört eine intensive Unterstützung von Seiten der Eltern bei Behandlungen und Operationen bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen Personen, die sie ruhig und sicher durch die Behandlungen begleiten. Von Seiten der Ärzte braucht es ein Verständnis dafür, wie bedrohlich medizinische Instrumente, Apparate und Prozeduren auf jeden Laien wirken können, und wie wichtig es ist, den Patienten umfangreiche Erklärungen zu geben, sie in ehrlicher Weise zu beruhigen und den Patienten möglichst viel Kontrolle und Zeit über das Geschehen zu geben. Es braucht auch ein Bewusstsein darüber, dass bei einer Operation oder einem Eingriff, auch wenn er heilsam und notwendig ist, eine aktive Verletzung der vielleicht wichtigsten Grenze durch einen relativ unbekannten Menschen vorgenommen wird: der Körpergrenze.

Krieg

Die Folgen auch für die Überlebenden von Kriegen sind unermesslich. Sie erstrecken sich über Generationen und sind häufig die Saat für weitere Gewalt, vielleicht sogar erst in der Enkelgeneration. Nach über 50 Jahren Frieden scheint in Mitteleuropa der Krieg weit weg zu sein. Illusionär aber die Annahme, man könne den Krieg draußen halten, oder er würde nicht zurückkehren können. Viele Immigranten sind kriegstraumatisiert. Diejenigen, die in Deutschland großgeworden sind, haben selbst noch Krieg erlebt, oder sie haben Eltern, die Krieg erlebt haben, die Freunde und Verwandte verloren haben, die Bombenkrieg, Hunger und Gewalt erfahren haben. Deutsche Soldaten gehen auch wieder in Krisengebiete, und viele von ihnen kehren traumatisiert zurück von dem, was sie erlebt haben. Eine Berichterstattung darüber findet kaum statt.
Krieg zerstört flächig und weiträumig Land und Seele. Er ist der größte Feind der Menschlichkeit. Obwohl es seit vielen Jahren Friedensforschung gibt, hat diese wenig Relevanz für praktische Politik. Krieg betrifft jeden, weil die Kriegsfolgen nicht vor Ort bleiben. Kriege zu verhindern, geht daher jeden etwas an, dem an der Zukunft der Menschen liegt, nicht nur im Sinne der Betroffenen, sondern auch aus gesundem Egoismus heraus.
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Sekundäre Verletzung und Traumatisierung Betroffener

Von Traumatisierung betroffene Menschen sind in einer Situation, die für viele der Menschen drumherum nicht nachvollziehbar ist, oder die auf Abwehr und Verleugnung stößt. Fast alle Betroffenen haben schon Reaktionen erlebt wie, "das wird schon wieder", "ich kenn da einen, den hat es noch schlimmer erwischt", "das ist doch schon so lange her" oder auch "stell dich nicht so an". Ebenfalls oft berichtet werden Sätze wie "das kann doch nicht sein" oder ein direktes "das glaube ich nicht". Solche Reaktionen sind nicht hilfreich, sie können die Isolation Betroffener ebenso verstärken wie das Gefühl, anders, "gestört" oder der einzige Mensch zu sein, der so komisch reagiert. Sie kommen von Verwandten, von Freunden, Arbeitskollegen, auch von Menschen wo man anderes erwarten sollte: von Krankengymnasten, Ärzten und sogar von Psychotherapeuten.
Das ist erst einmal schrecklich, und es kann schlimmer sein als das Ereignis selbst. Dem von Gewalt getroffenen wird noch gesagt, dass er übertreibe, dass sein Leiden nichts wert sei oder gar eingebildet, dass es nicht interessiere und er womöglich phantasiere oder wenigstens übertreibe. Er wird in der Not alleingelassen. Er versteht sich selbst schon nicht und bekommt dieses Unverständnis zusätzlich im Spiegel der anderen.
Das hat verschiedene Ursachen. Meist ist es wirklich mangelndes Vorstellungsvermögen, die Unfähigkeit sich in eine Erfahrung hineinzufühlen, die man selbst noch nicht gemacht hat. Dann wird eher am Gegenüber gezweifelt als an der eigenen Kompetenz, das zu begreifen. Manche Betroffenen geben auch offen zu: "Bevor mir das passiert ist, hätte ich so ähnlich reagiert."
Bei anderen ist es Schutz vor zu großer Betroffenheit. Was der traumatisierte Mensch erlebt hat, ist auch für andere schwer oder nicht erträglich. Sie vermeiden die Konfrontation damit, die Berührung, ziehen sich zurück. Sie haben die Kraft nicht, und vielleicht auch nicht den guten Willen, sich dem zu stellen, dem anderen zur Seite zu stehen. Diese Überforderung erleben viele Krebskranke in ihrem Bekanntenkreis. "Zu meinem Geburtstag haben viele mir eine Karte geschrieben, um nicht mit mir telefonieren zu müssen."
Dann wieder gibt es solche, die irgendwie selbst betroffen sind. Sie wehren den Kontakt ab, weil es sie mit eigenen Themen und Gefühlen, vielleicht der eigenen Rolle in dem Geschehen konfrontieren würde. So erleben Opfer familiärer sexueller Gewalt, wenn sie beginnen, ihre Geschichte zu erzählen, häufig Ablehnung und Verleugnung, sogar den Vorwurf der Lüge und Intrige von Seiten der Geschwister. Jeder beschützt seine eigene mehr oder weniger "heile Welt" und seine eigenen Lebenslügen. Lieber die Schwester oder den Bruder opfern, als den eigenen Dämonen ins Gesicht sehen zu müssen.
Das vielleicht wichtigste Heilungsmittel für Trauma ist die menschliche Beziehung. Diese umfasst Annahme, Verständnis und Unterstützung. Dazu ist nicht jeder in der Lage, von dem man das vorher erwartet hätte. Daher ist jeder, der einem Betroffenen nach seinen Möglichkeiten zur Seite steht eine große Hilfe für dessen Heilungsprozess. Wer das Opfer nicht allein lässt, wird aber auch zum Mitbetroffenen:

Sekundäre Traumatisierung von Angehörigen und Helfern

Nicht nur direkt von einem Ereignis betroffene tragen die Folgen. Auch indirekt mitbetroffene entwickeln häufig Symptome. Dazu gehören zufällige Zeugen, wie bei einem schweren Verkehrsunfall. Dazu gehören Angehörige und Freunde, denn die Physiologie des Traumas ist ansteckend, und das Verhalten von Traumatisierten kann auch die stabilste Beziehung auf eine unerträgliche Probe stellen. Insbesondere die Kinder von traumatisierten Menschen haben kaum Grenzen gegenüber den traumatischen Aktivierungen. Kleine Kinder nehmen die Innenwelt der Eltern in den ersten Lebensjahren tief in sich auf, mit allen Gefühlen und Verhaltensweisen, aber ohne Verständnis für die Bedeutungen oder die Ereignisse und Verhältnisse, welche die Traumata erzeugten. Gefährdet sind auch Gruppen, die regelmäßig mit traumatischen Ereignissen oder traumatisierten Menschen arbeiten. Darunter fällt die Polizei, die Feuerwehr und medizinisches Personal, außerdem TherapeutInnen, die regelmäßig mit Traumatisierten arbeiten. Alle diese reagieren oft mit der sogenannten "Mitempfindungsermüdung", dass heißt, sie distanzieren sich innerlich von den Betroffenen, werden oft kalt, gleichgültig und zynisch, oder sie entwickeln Depressionen oder psychosomatische Erkrankungen. Deshalb ist es für diese Berufsgruppen wichtig, die eigenen Betroffenheiten aufzuarbeiten und so die eigene Stabilität gegenüber extremen Ereignissen zu verstärken, ohne abzustumpfen.

All dies kann nur Menschen geschehen, die leben. So ist das "Geschenk des Lebens" ein bedrohtes, keine feste Größe, nichts, das wir einklagen oder erzwingen können. Aber dennoch bleibt es wenigstens ein Stück weit ein Geschenk, das zu haben sich lohnt. Und auch da, wo es nur noch schwer erträglich ist, gibt es noch das Weiterleben, und mit ihm die Möglichkeit, auch innerlich wieder mehr ins Leben zurückzufinden, herauszufinden aus dem inneren und äußeren Labyrinth von Gewalt, Schmerz, Angst und Wut, hin zu einem Leben, dem die Freude und die innere Freiheit nicht fremd ist.

"Wenn es atmet, dann lebt es. Wenn es lebt, dann kann es sich verändern."

 

 

Letzte Änderung an diesem Dokument: 26.10.2012

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