Kriegstraumata

Kriegstraumatisierungen sind besonders schwerwiegend. Sie halten über Generationen hinweg an und betreffen ganze Volksgruppen, Völker und Landstriche. Die in diesen Traumatisierungen gehaltenen Ängste, Ohnmachtsgefühle und Hass und Wut sind, auch wenn länger Frieden zu herrschen scheint, untergründig noch fortdauernd und ein starker Nährboden für neue Gewaltkonflikte aller Art.

Glücklicherweise sind nicht alle Schicksale gleich schwer, viele Menschen waren in der Lage, die Kriegsbelastungen in sich aufzuarbeiten und auch den inneren Krieg hinter sich zu lassen. Jedoch sei auch "das Schlimmste" des Krieges hier benannt, weil es immer noch, meist unbemerkt, Teil unseres alltäglichen Lebens ist.

Krieg ist unmenschlich und macht unmenschlich

Kriegstrauma hat viele Gesichter, die sich belastend ineinander vermengen können. Der Krieg ist ein Alptraum extremer Art, der jedes menschliche Maß sprengt und die Menschlichkeit als solche zutiefst in Frage stellt, der keine Ebene des Seins unberührt lässt. Alle Aspekte können sich schleichend entwickeln, über Jahre hinweg immer weitergehen, oder plötzlich auftreten. In allem ist die Ungewissheit über Dauer und Ausgang, die fast alle Sicherheit raubt.
Da ist der allgemeine Schock, dass die Sicherheit des Lebens zusammenbricht: bestehend im normalen Lauf der Dinge, die jedem mehr oder weniger seinen geordneten Platz in Leben und Gesellschaft gibt, der in-etwa Planbarkeit des Lebens, der Zuverlässigkeit der allgemeinen Abläufe und der Sicherheit des Wohnortes. Anstelle dessen treten Verunsicherung, Angst, unvorhersehbare und katastrophale Veränderungen.
Dann ist die Not da, die sich ergibt aus dem Mangel an Nahrung, Kleidung, dem Verlust der Wohnstätte, alles Dinge, die zu unserer basalen Sicherheit hinzugehören.
Familien werden auseinandergerissen, oft ohne zu wissen, ob man seine Kinder, Väter, Onkel jemals wiedersehen wird. Bei Flucht und Vertreibung muss ein oft ungewisser Weg beschritten werden, lebensgefährlich, unter extremen Strapazen und oft unwillkommen von der Bevölkerung, der man unterwegs begegnet, oder von den Menschen dort, wo man ankommt.
Wut, Angst und Ohnmacht werden von Regierungsseite geschürt, um diese Emotionen gegen den Feind richten zu können, an dessen Vernichtung sich all das abreagieren soll. Das Volk wird über diese Emotionen manipuliert, getäuscht, betrogen.
Dazu kommt die direkte Erfahrung von Gewalt und Tod. Die Geräusche von Explosionen, zerfetzte Menschen, Gerüche und Anblicke die kein Mensch jemals erleben sollte; das Wissen, dass man selbst der nächste sein kann; alles das ohne absehbares Ende. Plünderungen, Bedrohungen mit der Waffe, Vergewaltigungen, in all dem entläd sich die innere Gewalt und Ohnmacht, werden Opfer zu Tätern, Täter zu Opfern, erreicht die Gewalt in ihren verschiedensten Formen letztlich jeden einzelnen.
Die Kriegsheimkehrer haben schreckliches gesehen, waren vielleicht in Gefangenschaft, verwundet, dem Hungertode oder dem Erfrieren nahe; sie erzählen andauernd davon oder sie verfallen in tiefes Schweigen. Sie sind nicht mehr die, die fortgingen, die geliebt wurden als Väter, als Ehemann. Sie haben angefangen zu trinken oder sind aggressiv und hart geworden, vorwurfsvoll, weil sie nicht verstanden werden in ihrem Schmerz, den sie tief in sich beherbergen. Es ist oft, als wäre die Seele auf dem Schlachtfeld verlorengegangen, und ein Unbekannter heimgekehrt.
Der Verlust von Menschen, von Verwandten, Brüdern, Schwestern, Kindern, Freunden, Arbeitskollegen und Schulkameraden trifft viele. Es sind tiefe Lücken gerissen in die Familienverbände, Lücken, die unter den Krisenumständen kaum betrauert werden, so dass der Schmerz tief verdeckt andauert.

Wenn der Krieg vorbei ist, ist noch lange nicht Frieden

Die von den unverarbeiteten Kriegserlebnissen, der Gewalt und dem Verlust Betroffenen müssen oft erst einmal das nackte Überleben sichern und die Existenz wieder aufbauen. Keine Zeit, keine Bereitschaft zurückzuschauen. Aber die inneren traumatischen Energien treiben weiter, wirken weiter. Die Seelen sind oft verhärtet. Schmerz, Kummer, Angst werden verleugnet, Schuld nagt und wird verdrängt. Man sucht Betäubung und Ablenkung. Dialog, Nähe, Vertrauen und Vertrautheit sind nur schwer möglich, die Gewalt dringt immer wieder ein auch in die intimen und nahen Beziehungen, die vergiftet werden, so dass neue Fronten entstehen, zwischen den Geschlechtern, zwischen Ehemann und Ehefrau, zwischen Nachbarn (denn im Kriegszeiten gab es oft Verrat unter Nachbarn), zwischen Familien und dem Rest der Welt. Vertraut wird nur der kleinsten Einheit. Das kann sein die Familie, die sich einigelt und die Aussenwelt abwehrt: "man muss zusammenstehen als Familie" (gegen das böse Leben). Das kann sein das Ehepaar, das sogar gegen die Familie und gegen die eigenen Kinder Grenzen errichtet. Das ist ganz oft der einzelne Mensch selbst, also das einzige, was vielen Menschen im Krieg als letztes blieb: auf sich selbst zu vertrauen und sonst niemandem. Die "Regeln des Krieges" dauern innerlich an: es muss weiter gehamstert werden. Es darf weiterhin nicht vertraut werden. Man muss weiterhin mit dem Schlimmsten rechnen. Man muss viele Versicherungen abschließen gegen alle möglichen Wechselfälle des Lebens. Man darf sein Geld keiner Bank anvertrauen. Man darf niemand fremdes in die Wohnung lassen. Es muss immer genug Wärme geben: warme Kleidung, Öl im Reservoir, Holz für den Kamin. Doch auch das hilft nicht gegen innere Kälte. So ist oft der Alkohol oder die Medikamentenabhängigkeit das Regulativ für das, was nicht eingesperrt werden kann. Scheinbar unerklärliche Zwänge und Ängste halten die Seele weiter im Griff. Es ist nicht möglich, anderen, die alles das anzusprechen, zuzuhören; sie zu verstehen; darauf einzugehen; sich neu einzustellen. Das wichtigste ist oft, die Routine, das bewährte, das sichere um jeden Preis beizubehalten, ohne Wenn und Aber. Trauma lässt nicht nach durch das Vergehen von Zeit allein . Es nimmt nur andere Formen an und tritt vielleicht, wenn die Routine, die Kontrolle über das Leben funktioniert, in den Hintergrund; jederzeit bereit, wieder aufzuflackern, wieder hochzukommen.

Deutschland nach den Weltkriegen

Auch Deutschland ist noch im Griff später Folgen der zwei Weltkriege. Bei vielen direkt Betroffenen brechen die Belastungen mit dem Übergang in den Ruhestand, mit kriegerischen Konflikten auf europäischem Boden, mit deutschem Militäreinsatz in Krisengebieten und durch nachlassende Kontrolle durch Alter, Krankheit oder schwindende geistig-seelische Energie erneut auf. Es zeigt sich, dass die Kriegserlebnisse zum Teil nie bewältigt wurden, sondern lediglich verdrängt, was oft ein lebenslanger seelischer Kampf ist. Wenn sie wieder auftauchen, werden sie erneut erlebt "wie damals", die Vergangenheit wird wieder lebendig. In den Medien ist die Traumatisierung durch die Kriege nach Jahrzehnten des Schweigens ein Thema. Dennoch gibt es nur wenige Therapiemöglichkeiten, und die Betroffenen selbst suchen in den wenigsten Fällen Hilfe und Unterstützung; sie fahren mit dem fort, was sie all die Jahrzehnte gemacht haben: unterdrücken und so gut wie es geht damit leben.

Kriegstraumata in der zweiten Generation

Kind zu sein von kriegstraumatisierten Eltern bedeutet, mit dem Echo des Krieges aufzuwachsen. So erreicht der Nachklang des Krieges auf verschiedenen Ebenen auch die Seele der Nachkriegsgenerationen:
Kinder sind offene und sensible Wesen, die intuitiv die Eltern, in deren Lebensfeld sie sich ja befinden, bis in die Tiefe hinein erfühlen und erkennen. Sie spüren die Struktur des Seelenlebens der Eltern, jedoch ohne dessen Geschichte zu kennen oder zu verstehen, und auch die Erregung, die Intensität der Emotionen und Zustände, und nehmen all das in sich auf als ein erstes Modell der Welt. Deshalb können die Kinder (kriegs-) traumatisierter Eltern seelisch besser gedeihen, wenn sie das, was sie erleben, erklärt bekommen, damit sie Vertrauen in ihre Wahrnehmung gewinnen und unterscheiden lernen zwischen "das bin ich" und "das ist das Schicksal und das Leben meiner Eltern", eine notwendige Voraussetzung, um deren Belastungen "aus sich herausstellen" zu können. Werden die Belastungen dagegen verborgen gehalten, geheim, nehmen sie nicht nur die Belastungen in sich auf, sondern auch das Gesetz des "verborgen bleiben müssens", was eng mit Geheimhaltung und Schuld zusammenhäng, und die Konflikte der offenen Bearbeitung entzieht.
Kinder erleben auch die direkten Reaktionen der Eltern auf unterschiedliche Situationen mit, deren Haltung, Atmung, innere Physiologie, ihren Schrecken, die Gefühle. So lernen sie am Modell, selbst erschreckt zu sein bei Probealarmen (die heute zum Glück nicht mehr routinemäßig durchgeführt werden), bei tieffliegenden Flugzeugen und vielen anderen Belastungssituationen mehr. Sie erleben eine Not in der Mutter, wenn der Kühlschrank leer ist, die Angst des Vaters, wenn es zu einem Streit mit einem Nachbarn kommt, die Verhärtung und die innere, unterdrückte Gewalt. Sie "schreiben" in ihrem eigenen Nervensystem die vielfältigen Reaktionen der Eltern auf die Welt mit und bekommen darin eine erste Bewertung und Einschätzung der Welt.
Drittens suchen die Kinder Bindung, Echo, Verstehen, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Beziehung in den Eltern selbst. Diese tiefen, lebenswichtigen Bedürfnisse nach Spiegelung, Beantwortung, Beziehung und Sicherheit treffen aber häufig auf seelische Abstumpfung, für die eine Belastung, die keine Todesdrohung beinhaltet gar keine ist; für die Weinen Verweichlichung und Schwäche bedeutet und Lebendigkeit Bedrohung. Lachen, Leichtigkeit und Spiel werden mit Reglement und Ernst beantwortet, dem Kind wird gespiegelt, dass seine Art zu sein nicht in Ordnung ist und Ärger, Angst, Abwendung oder nicht-Reaktion in den Eltern erfährt. Beziehung zu den Eltern aber ist die Basis für Beziehung zur Welt insgesamt, und für alle Beziehungen zu allen anderen Menschen. So kommt es hier zu tiefen Verzerrungen und Sprüngen in der Seelenlandschaft des Kindes, aus denen es sich allein kaum wird befreien können.

Verantwortung
Wir selbst sind die Verursacher der Welt, in der wir leben. Mit wachsendem Bewusstsein für die eigene Geschichte, das, was wir sind und in uns tragen, kann auch das Bewusstein wachsen, was diese Welt braucht, um eine bessere zu werden. Mögen grade wir, die wir Krieg nicht "am eigenen Leibe" erlebt haben, aus der Illusion erwachen, dass Krieg uns nicht bedroht, und die Konsequenzen daraus ziehen. Ein Teil mag sein das politische, psychologische und gesellschaftswissenschaftliche Verstehen, dass Krieg kein akzeptiertes Mittel der Konfliktlösung sein darf, und eine aktive Umsetzung dieses Verstehens in der Form, die einem selbst gemäß ist. Ein weiterer Teil mag darin bestehen zu verstehen, wie schwierig es sein kann, sich für Frieden und friedliche Konfliktlösung einzusetzen, ohne darin wiederum militant zu werden, dass wir sensibel werden für die vielen subtilen bis offensichtlichen Formen von Gewalt. Wichtig ist, der Gewalt- und Kriegsverherrlichung entgegenzutreten, sei es in Computerspielen, in Kinofilmen oder auf politischer Ebene. Ein anderer Teil mag darin bestehen, die eigene Geschichte aufzuarbeiten, und eigene Belastungen zur Lösung zu führen, denn Frieden fängt immer im eigenen Leben an. Dazu kann Traumatherapie wichtige Beiträge leisten, sie macht den lösenden Zugang zu vielen von diesen Belastungen in uns überhaupt erst möglich.

Peter Heinl ist ein Psychotherapeut, der sich auf die Behandlung von Kriegstraumatisierungen spezialisiert hat und eine eigene Methode entwickelt hat, damit zu arbeiten. Von ihm ist auch die Publikation "Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg" über seelischer Wunden aus der Kriegskindheit. Er veranstaltet regelmäßig Seminare. Freundlicherweise hat er einen Artikel zur Verfügung gestellt, in der auch seine Arbeitsweise dargestellt wird.

Homepage von Peter Heinl, wird demnächst aktualisiert, hier findet sich auch die Kontaktadresse
Download des Artikels zum Zugang zu früher Kindheitserfahrung bei Kriegstraumatisierung

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