Selbstfürsorge für TherapeutInnen

TherapeutInnen, die im Bereich Trauma arbeiten, stehen vor der großen Herausforderung, mit Trauma umzugehen, ohne hineingezogen zu werden. Sie begegnen den schwierigsten Fragen im Bereich des Menschlichen, wie Verrat, Missbrauch, Gewalt, Alleingelassensein durch Familie und Gesellschaft, Tod und Abspaltung, und sie sitzen alltäglich der ansteckenden Physiologie von Trauma gegenüber, wie Betäubung, emotionaler Aufruhr, Übererregung und Desorganisation des Nervensystems. Um von diesen elementaren Fragen und Bedingungen nicht belastet und geschädigt zu werden, und eine hilfreiche Traumatherapie anbieten zu können, braucht es eine Reihe von positiven Bedingungen, die jeder Therapeut persönlich erarbeiten und immer wieder herstellen muss.

Auch Traumatherapeuten sind nicht mehr und nicht weniger als Menschen, die auf dem Wege sind, ohne das "Ziel" im letzten Sinne erreichen zu können. Je mehr eine Umsetzung der unten genannten Gedanken gelingt, desto mehr profitieren Therapeuten wie Klienten davon, aber es ist immer ein Unterwegssein im Rahmen von begrenzenden inneren und äußeren Bedingungen. So sollte kein Ideal errichtet werden, an dem man nur scheitern kann, sondern eine sinnvolle Richtung angezeigt werden. Auch der Therapeutentag hat nur 24 Stunden..., jedoch sollte die Überfülle der Dinge auch daran erinnern, dass der "Mangel an Zeit" Symptom und Ursache der Gestörtheit unserer Zeit ist...

Ich werde nie wieder so zynisch und distanziert gegenüber Patienten in Todesangst sein; von außen lässt es sich leicht Witze darüber machen, aber jetzt, wo ich selbst in Schwindel, Todesangst, Überforderung und Panik stecke und mich nicht daraus befreien kann, verstehe ich erst, was diese Menschen durchmachen.
Ein Rettungssanitäter, der nach vielen Jahren im Rettungsdienst einen Zusammenbruch erlitt

Im medizinischen Bereich ist die sicher typischste Strategie die der Abspaltung und Distanzierung. "Der Mensch" in seinem Leid wird zu "die Bauchspeicheldrüse"; seine Gefühle werden bagatellisiert, belächelt oder einfach ignoriert. Man wiegt sich, meist unbewusst, in die trügerischen Sicherheit, dass es nur dem Patienten so gehen könne, man selbst könne da nicht betroffen sein oder würde da ganz anders mit umgehen können. So prallen die Empfindungen und Zustände der Patienten wie an einem Schutzschild ab, man ist anders, hat nichts damit zu tun und fertigt den Patienten möglichst sachlich und gefühllos ab, auf die Leistung konzentriert, die am Patienten zu erbringen ist. Abgesehen davon, dass Zynismus, Gleichgültigkeit und Sachlichkeit ohne Beziehung letztlich eine Pervertierung des Heilungsauftrages der Medizin darstellen: Irgendwann kann dieser Abwehrschirm zusammenbrechen und die seelischen und traumatischen Belastungen, die über die Jahre hinweg aufgenommen wurden, führen zu tiefen Einbrüchen, Depressionen, Angsterkrankungen und Arbeitsunfähigkeit.

Auch im psychotherapeutischen Bereich kommt diese Art von Schutzschild vor. Da hier direkt mit den Gefühlen und dem Leid der Klienten umgegangen wird, ist aber die Gefahr der unbewältigten persönlichen Betroffenheit und der körperlichen sowie seelischen Reaktionsbildung darauf ungleich höher. Dies ist ein Grund dafür, dass die Berufsgruppe der Psychotherapeuten besonders gefährdet ist für psychische Erkrankungen. Umso mehr gilt dies im Bereich der psychischen Traumatisierungen. Die "Alarm"-Stimmungen der Klienten, die Schockenergien wie auch die Ohnmachtsgefühle und seelische Abstumpfung in der traumatischen Erstarrung sind intensiv und machtvoll, und eine erfolgreiche Therapie erfordert ein bestimmtes Maß an Beziehung und Teilhabe. Deshalb erleben viele Traumatherapeuten eine Übertragung von Traumasymptomen von Klienten auf sich, oder eine Aktivierung eigener traumatischer Erfahrungen. So können Schlafstörungen auftauchen, nächtliches schweißgebadetes Aufwachen, eine diffuse Ängstlichkeit im Leben und das Gefühl, dem Alltag und den Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein; auch Wutattacken können auftreten oder ein Gefühl der wie auch immer gearteten Bedrohung; eine Distanzierung von der "Gesellschaft", die alleine lässt und Gewalt zulässt, es kann depressive Episoden geben oder einfach das Gefühl der Belastung, der körperlichen und seelischen Erschöpfung, Angst vor Therapiesitzungen oder speziellen Klienten. In der Therapiesituation selbst kann es zur Abwertung des Klienten in bestimmten Fragen kommen, zur inneren Distanzierung (der Klient wird alleingelassen und abgelehnt) und ähnlichem mehr. Ergebnis solcher Folgen sekundärer Traumatisierung sind gescheiterte Therapien, eigene Belastung und im schlimmsten Falle Depression, Angst und Arbeitsunfähigkeit.

Deshalb gehören zu Berufsbild und Ausbildung des Traumatherapeuten zwingend eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen und ein Aufbau tragfähiger Lösungen. Diese Lösungen liegen auf verschiedenen Ebenen, die ineinandergreifend für Halt, Stabilität und Rückversicherung sorgen. Ziel ist eine robuste und stabile Persönlichkeit des Therapeuten mit einer guten Verankerung im sozialen und beruflichen Umfeld. Je mehr dies gelingt, desto besser werden auch die Therapien sein; beide Seiten profitieren.

Reinigung

Der erste Schritt "vor Ort" in der Therapiepraxis werden Methoden oder Rituale sein, die helfen, das eben (mit-) erlebte wieder hinter sich zu lassen und Reste davon aus sich zu entfernen, auch, um frei und offen zu sein für den nächsten Menschen.. Der Methoden sind viele, und richtig ist auch das, was sich persönlich bewährt hat. Hier seien einige genannt, die bewährt und verbreitet sind:
- kurzes, intensives durchlüften des Raums, so dass auch Gerüche nach Schweiß oder Parfum entfernt werden
- kurzes Verlassen des Raums, idealerweise an die frische Luft
- Ausstreichen des eigenen Energiefeldes, kurzes Abklopfen oder Kneten und leichte Selbstmassage
- ein kleiner zeitlicher Zwischen-Raum, in dem man innerlich die Sitzung zum Abschluss bringt und sich auf sich selbst besinnt, auch um wahrzunehmen, was noch da ist oder was es noch braucht; vielleicht auch in Form von Notizen die man sich zur Sitzung macht, oder als kurze Meditation; als dritte Phase ist die Orientierung auf die nächste Sitzung hin sinnvoll
- Anwendung von Wasser: äußerlich vielleicht über Arme und Gesicht, innerlich als Getränk

Ressourcen

Die konsequente Orientierung an Ressourcen, hilfreiche Faktoren aller Art, bestimmt die Arbeitsweise der Traumatherapie und den Umgang mit Klienten. Im Laufe der Zeit wird sie im besten Falle Lebenshaltung werden und auch die inneren Strategien des Therapeuten bestimmen, wie auch seine Lebensweise. Ressourcen gibt es endlos viele, und sie sind individuell verschieden sowie an Zeit und Situation gebunden. Bestimmte Ressourcen werden aber von sehr vielen Therapeuten als hilfreich genannt, hier also eine kleine Liste zur Anregung:
- eine körperliche und/oder meditative Praxis: Yoga, Sport, Tai-Chi, Tanz, Aikido, Meditation...
- kreative und gestaltende Tätigkeiten: Musizieren, malen, Theater spielen...
- erlebte Gemeinschaft: Freundschaften, Vereine ... (beliebig kombinierbar mit den anderen Bereichen)
- Verarbeitungszeit: Frei-Zeit, unstrukturierte Zeit, Leerräume im Tag, Spaziergänge, Urlaub...
- kulturelles Leben: Konzerte, Ausstellungen, Performances...
- spirituelle Praxis oder spirituelle Anbindung
- integrierende Tätigkeiten aller Art (was immer das sein mag, s.u.)
- therapeutische und wohltuende Behandlungen: Osteopathie, Massagen, Psychotherapiesitzungen, Wellness...

Therapiemethode

Die Arbeitsweise als solche beinhaltet bereits viele Vorkehrungen gegen eine Überlastung und Überfrachtung mit traumatischer Belastung. So kennen alle Wege der Traumatherapie das Gebot, den Rahmen der Belastbarkeit des Klienten wie des Therapeuten in möglichst keinem Moment zu überschreiten. Zum Trauma gehört das "zuviel", zur Traumatherapie, um dies nicht zu wiederholen, das "Maß der Belastbarkeit" (window of tolerance). Wenn in den Sitzungen kein zuviel an Belastung auftaucht, werden beide Seiten Entlastung erleben. Zur Lösung zu kommen ist ebenfalls etwas in der Teilhabe wohltuendes auch für den Therapeuten. So ist die richtige Anwendung der therapeutischen Regeln und Methodik bereits in sich ein wesentlicher Teil der Vorsorge gegen Überlastung.

realistische Selbsteinschätzung / Belastbarkeit

Wie es in der Therapie auch Aufgabe des Therapeuten ist, die Klienten an ihr persönliches Maß heranzuführen und dieses einzuhalten, so brauchen auch Therapeuten eine gute Reflektion dessen, welches Arbeitspensum sie unter normalen Umständen zuverlässig bewältigen können, mit welchen KlientInnen und Belastungen man von der Therapeutenseite aus normalerweise sicher umgehen kann, wieviele besonders "schwierige" oder belastende KlientInnen gleichzeitig begleitet werden können. Die Neigung vieler TraumatherapeutInnen ist es, viel zu arbeiten, und Aktivierung durch die Arbeit fließt häufig da hinein, noch mehr zu arbeiten. Dem gilt es entgegen zu wirken und immer wieder zu überprüfen, ob es das Leben außerhalb der Therapie noch gibt, und wie dieses aussieht.

Persönlichkeitsbildung

Letztlich ist die Persönlichkeit des Therapeuten Basis seiner eigenen Lebensführung, seiner Möglichkeiten und Grenzen und auch seiner therapeutischen Arbeit; er selbst ist mit das wichtigste Werkzeug. Die in der Therapie auftauchenden Fragen und Ereignisse stellen all die fundamentalen letzten Fragen nach Leben, Tod und dem Wesen des Menschseins als solchem. Das macht es notwendig, dass auch der Therapeut selbst in der Lage ist, sich diesen Fragen zu stellen, sie im Lichte seines eigenen Lebens, seiner eigenen Betroffenheit immer neu zu beantworten. Er will und sollte für sich wie für sein Gegenüber klar, verständlich, offen und ansprechbar sowie dialogfähig sein. Wenn er auch sein Privatleben nicht offenlegen wird und braucht, so doch sein Menschsein, denn die Beziehung zwischen zwei Menschen ist der oft wichtigste therapietragende Faktor. So stehen Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit für die Therapie an erster Stelle. Die Entwicklung, Reflektion und Reifung der eigenen Persönlichkeit ist der wichtigste Schutzfaktor, ist aber auch Ausdruck dessen, worum es bei Traumatherapie überhaupt geht.

Integriertheit

Eines der zentralen Eigenschaften von Traumatisierung liegt darin, innere und äußere Zusammenhänge zu zerreißen: von Gefühl zu Verstand, von Körper zu Gefühl, von Mensch zu Mensch, von Sinn zu Empfindung. Demgegenüber ist der Weg der Gesundung auch der Weg der Integration. In der Integration kommt es zur abgestimmten Gemeinsamkeit von verschiedenen Ebenen der Existenz, die einander gegenseitig ordnen und stabilisieren.

"Wohin die Hand geht, dorthin geht das Auge.
Wo das Auge ist, da ist der innere Sinn.
Wo der innere Sinn ist, da ist das Gefühl.
Wo das Gefühl aufblüht, da ist Rasa, die innere Ergriffenheit."
Abhinayadarpana von Nandikeshvara, Vers 37

Im asiatischen Raum gibt es eine Fülle von Geschichten und Beschreibungen, die Integration darstellen. Denken und Fühlen kommen zusammen, der Körper gesellt sich in Ausdruck und Haltung hinzu, der Fluss der Lebensenergie entspricht dem und unterstützt, Verhalten, Person und Umwelt stehen in fließender Übereinstimmung. Der Mensch ist mit sich selbst und seiner Umwelt verbunden. Integration beginnt auf zellulärer Ebene und setzt sich im Idealfall bis in die großen Strukturen der menschlichen Gemeinschaft, der Eingebundenheit in den Verbund mit Erde und Schöpfung und der spirituellen Ebene fort. Integration wächst über lange Zeit hinweg, sie ist Folge einer letztlich lebenslangen Entwicklung.

Ein sehr nützlicher Nebeneffekt ist die Verbesserung der therapeutischen Wirksamkeit gegenüber dem Klienten, denn: Physiologie ist ansteckend - nicht nur die des traumatisierten Menschen, sondern auch die des in sich ruhenden, seelisch und körperlich stabilen Therapeuten.

Privates Netzwerk und das Leben außerhalb der Traumasphäre

Wo das Leben nur um Trauma kreist, wird der Blickwinkel verschoben und die Erlebnisweise eingeengt. Wie soll man Menschen zum Leben führen, wenn man selbst keines führt? So gehört ein Privatleben, das im Bereich des "normalen" stattfindet, zu den "Erde gebenden" und stabilisierenden Faktoren. Dazu gehören die nahen wie die lockeren Beziehungen, die Hobbys und Lebensbereiche, die keinen Bezug zu Trauma in sich tragen, also ein Leben im "normalen", in dem, "wie es sein soll". Wenn die Zeit für diese Dinge mehr und mehr schrumpft, sollte das ein deutliches Alarmsignal sein, dass es in die falsche Richtung geht.

Berufliches Netzwerk und Supervision

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die aber nicht immer genügend gepflegt wird: Psychotherapeuten und speziell Traumatherapeuten können letztlich nicht für sich alleine stehen. Sie brauchen den Austausch, die Anbindung an neue Entwicklung, anregende Weiterbildung, die Kollegen und Kolleginnen im Rücken und ein Forum für Gespräche und Unterstützung in Bezug auf ihre tägliche Arbeit. Regelmäßige Intervision im Kollegenkreis hält den Blick wach und die Sinne offen, erweitert den eigenen Gesichtskreis. Supervision hilft, wo es eng und schwierig wird. Die Gewissheit, dass Kollegen wertfrei und unterstützend zur Verfügung stehen hilft ebenso, wie die Möglichkeit, kurzfristig in besonderen Lagen auch selbst Sitzungen bekommen zu können.

Buchempfehlungen:
Babette Rothschild, Help for the Helper. Self-Care Strategies for Managing Burnout and Stress. W.W. Norton & Company 2006
B. Hudnall Stamm, Sekundäre Traumastörungen, Junfermann 2002

 

Falls Sie keine Navigationsleiste sehen, rufen Sie bitte die Startseite auf:
 www.traumatherapie-ruhr.de