Das Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern im Nervensystem. (Dr. Peter A. Levine)

Normalerweise bewegen Menschen sich in einem Gefüge innerer und äußerer Sicherheit. Sie leben in der Grundüberzeugung, dass die Ereignisse des Tages und des Lebens im wesentlichen zu bewältigen sind, dass die Zukunft eine in etwa absehbare Größe ist, und dass die Mittel zur Lebensbewältigung auch weiterhin funktionieren werden. Das umfasst die Gesamtheit der eigenen Fähigkeiten, Beruf, Besitz, den Rückhalt durch Beziehungen und Familie, den Schatz der schon gemachten Erfahrungen. Zu diesen Erfahrungen gehört zum Beispiel, erlebt zu haben, dass man schon die eine oder andere Krise hat meistern können. Dieses Gefüge der Sicherheit ist notwendig, um sich im wesentlichen angstfrei und offen im Leben bewegen zu können. Ein traumatisierendes Ereignis beschädigt dieses Gefüge in anhaltender Weise. Es bleibt eine Art Riß oder Beschädigung zurück, die einerseits eine große Anziehungskraft hat, weil immer wieder die Bewältigung gesucht wird, deren Nähe andererseits Unruhe, Angst und Schrecken auslöst, weil wir schon wissen, dass "dort" Überforderung und Ohnmacht warten.

So führt der Wunsch nach Bewältigung in die Traumawiederholung, in der immer wieder dem Trauma ähnliche Situationen aufgesucht oder begünstigt werden, während die Angst vor der Wiederholung versucht, alles zu vermeiden, was in irgend einer Weise an das Trauma erinnert bzw. in dessen Nähe bringt. Beides kann gleichzeitig sein oder einander abwechseln. Die Auseinandersetzung mit diesen gebundenen Kräften und der Versuch, den Riss im Gefüge abzudichen und zu stabilisieren kostet viel Energie. Diese gebundene Energie fehlt dem freien Strom der Lebenskräfte, was unsere flexible Bewältigungskraft für das "Heute" beeinträchtigt.

Zum Ideal psychischer Gesundheit: Im freien Strom der Lebenskräfte findet sich ein fließender Zustand vitaler Energie, in dem das Individuum von innerem Antrieb und Initiative getragen erlebt, im Wesentlichen sein Leben bewältigen und gestalten zu können. Das Individuum ist weitgehend im inneren Einklang mit sich und erlebt einen vitalen inneren Kern eines "Selbst", das in der Lage ist, sowohl in Ruhe zu sein als auch Dynamik zu entfalten, und eine deutliche, differenzierte Empfindung seiner körperlichen und seelischen Vorgänge zu haben. Es ist in der Lage, frei von fixierten Reaktionen Bindungen zu anderen Menschen auf der Basis von Einfühlung, Kommunikation und Vertrauen einzugehen und diese entsprechend der Erfahrungen zu modifizieren. Dieser Mensch ist gewohnt und erwartet, die auf ihn zukommenden Ereignisse und Situationen in der Regel positiv bewältigen zu können, er fühlt sich im allgemeinen sicher und zuversichtlich.

Soweit ein Versuch, positiv zu beschreiben, was im Trauma verloren gehen kann. Ein Mensch, der sich wie oben beschrieben erlebt, ist tatsächlich "lebendig" und erlebt das auch so. Da wo Trauma wirksam ist, sind die Reaktionen dagegen eher zwanghaft, begrenzt, in gröberen Kategorien. Es fällt schwer, Empfindung und Bewusstsein der psychischen und / oder körperlichen Empfindungen zu erlangen, insbesondere fällt eine feine Differenzierung schwer. Der Betroffene wird weniger das Gefühl haben, von freier Vitalkraft getragen zu sein, eher sich getrieben oder gehemmt fühlen von Kräften wie Wut, Angst und / oder Ohnmacht. Er wird daher mehr kämpfen oder den Willen einsetzen müssen, um mit dem Leben und seinen Anforderungen zurecht zu kommen. Die zentrale Frage ist weiterhin mehr die des Überlebens und all dessen, was dazu notwendig ist (Sicherheit, Besitz, Geld, Macht…), als die innere Qualität des gelebten Lebens (Kultur, Beziehungen, Wohlbefinden, Genuss).

Tatsächlich gibt es weder den vollkommen freien und lebendigen Menschen, noch den Menschen, der nur aus Trauma besteht. Jeder Mensch ist eine Mischung aus freiem Lebensfluß und durch kleine oder größere traumatische Erlebnisse gebundene Energien und Reaktionen. So kann es die Summe der Belastungen sein, oder eine einzelne, besonders schwerwiegende Belastung, die zur Therapie führt. Im inneren Erleben verbinden sich Traumatisierungen ähnlicher Art häufig miteinander zu Traumasystemen, die sich untereinander verstärken und stabilisieren. In der Therapie wird man nicht mit allem, was auftaucht, zugleich arbeiten, sondern immer mit dem Maß an Belastung, das dann auch verarbeitet und bewältigt werden kann.

Trauma ist ein biologisch-psychologischer Prozess, der alle Ebenen des Menschseins durchdringt und gefangen nimmt. Jedes Trauma nimmt uns etwas von der inneren Freiheit:

- der Körper wird beeinflusst durch die biologischen Auswirkungen von Kampf-Flucht-Erstarrung

- der Geist wird durch Fixierung und Einschränkung gebunden

- die Gefühle werden durch Trauma-Inhalte gebunden, die emotionale Grundstimmung wird durch die Trauma-Energien "gefärbt" und begrenzt

- Teile des "Selbst" gehen an das Trauma verloren, die Person verliert an elementaren Aspekten ihres Mensch-seins, meist ohne das bewusst zu erleben; jedoch von den umgebenden Personen wird der Verlust und die Einschränkung bzw. Fixierung häufig wahrgenommen.

Insgesamt ist ein Mensch im Bereich seines Traumas weniger in der Lage, offen und objektiv wahrzunehmen, sich eine freie, reflektierte Meinung zu bilden, angemessene und differenzierte Gefühlsreaktionen zu empfinden sowie eine passende, frei gewählte Reaktion an den Tag zu legen.

 

Die Grundreaktionen bei Traumatisierungen:

Die rein biologische Reaktion auf Trauma zwingt uns eine innere Dynamik auf, welche sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Im ursprünglichen "Moment" des Traumas werden vier ganz unterschiedliche Reaktionsweisen ausgelöst, meist alle vier in unterschiedlicher Gewichtung. Dies ist zuerst die Orientierung ("was ist hier los?") dann folgen Flucht ("weg hier"), Kampf ("schlagen, wegstoßen") und, viel weniger bekannt, Erstarrung - bei Tieren spricht man vom Totstellreflex. Wenn diese Reaktionen nicht zeitnah abgebaut werden, überdauern sie auf unterschiedliche Weise. Sie machen einen wichtigen Teil der "Wesensänderung" aus, die bei Menschen nach Extremsituationen häufig erlebt wird, erscheinen also später nicht mehr als simple Reaktionen, Zustände oder Impulse, sondern mehr als Wesensmerkmale oder Persönlichkeitszüge. Wenn diese Reaktionen prägend und stark sind, erkennt man die Ausrichtung des Menschen schon bei seinem Anblick in Haltung und Gesichtsausdruck. Alle diese Wesensmerkmale sind an sich normal und treten gewöhnlich bei allen Menschen auf. Wenn es sich um Traumafolgen handelt, kann daran auffallen:

- die Häufigkeit, mit der das Verhalten auftritt

- die Intensität, die in Bezug auf die aktuelle Situation meist übertrieben wirkt (überreagieren)

- die Fixierung, also die Unmöglichkeit, ein anderes Verhalten für eine solche Situation zu wählen, oder darüber zu sprechen

Orientierung - immer wissen müssen, was los ist; die Aufmerksamkeit dauernd draußen haben; immer oder übermässig wachsam sein; leicht erschreckbar sein; oder Orientierungsverlust: leicht den Überblick verlieren, sich verlaufen, Zeitmaß nicht mehr einschätzen können, Entfernungen (z.B. beim Greifen oder beim Laufen) nicht mehr so gut abschätzen können

Kampf - z.B. aggressiv sein; sich leicht angegriffen fühlen; von schwierigen Aufgaben sich herausgefordert fühlen; bei Überlastung nicht klein beigeben, sondern weitermachen; sich auf Ziele fixieren; konfrontieren; ohne Arbeit nicht leben können; verbissenes Verfolgen von irgendwelchen Standpunkten, oft geht es um Recht und Unrecht, Kampf um Gerechtigkeit; Beharren auf Standpunkten und Meinungen, ohne Widerspruch oder Gegenposition zu dulden

Flucht - z.B. immer unterwegs sein; dauernd was machen; nie zur Ruhe kommen; schon wieder auf dem Sprung sein; Hummeln im Hintern haben; sich schwierigen Situationen und Gesprächen entziehen; immer was anderes zu tun haben; immer schon nach dem nächsten schauen; den Ausgang im Blick haben; immer wissen wo der Fluchtweg ist

Erstarrung (und infolge dessen: Dissoziation) - z.B. starke körperliche Steifheit (oft mit chronischen Schmerzzuständen); Festhalten besonders in den Gelenken; häufige Gefühle von Ohnmacht und Sinnlosigkeit; genau wissen daß etwas getan werden muß aber es einfach nicht schaffen; geistig abwesend sein; häufig oder in Streßsituationen verstummen; unter (Zeit-) Druck nicht mehr denken können; wie betäubt sein; sich nicht im Körper fühlen; ständig neben sich stehen / nicht bei sich sein (Unfallneigung, Zerstreutheit), sich unverbunden und isoliert fühlen; Gefühlsstarre; den Körper nicht oder nur abgeschwächt fühlen können (Berührung, Sexualität, Wahrnehmung von Hunger oder Harndrang, Wahrnehmung von beginnenden Krankheiten); wenig Schmerz spüren

Traumatherapie will dem Organismus zur Bewältigung des Traumas verhelfen, ohne die im Trauma liegende Überforderung und Ohnmacht noch einmal zu erleben. Durch dosierte Annäherung und eine Stärkung der inneren Kräfte ("Ressourcen") zur Bewältigung des Traumas wird das innere Gefüge der Sicherheit ausgedehnt und durchdringt und umfasst letztendlich das Trauma. Das Trauma wird der Lebenserfahrung hinzugefügt, integriert, und trägt so zur inneren Stärke der Person bei. Die im Trauma gebundenen Kräfte können wieder freigesetzt werden, die durch das Trauma hervorgerufenen Symptome wie Angst, Unruhezustände, Aggressivität, Schlafstörungen usw. lösen sich im Idealfall gänzlich auf. Der freie Fluss der Lebenskräfte gewinnt an Kraft und Ausdehnung.

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